19.9.17

Rotkäppchen kommt hier nicht vor

Populismus ist in. Gerade in der heutigen Zeit, so kurz vor den Wahlen. Da ist doch jedes Mittel recht und keine Plattitüde zu platt (welch nettes Wortspiel) um beim gemeinen Volk zu punkten. Das Rezept ist altbekannt und leider auch bewährt. Man gibt dem besorgten und unentschlossenen Otto Normalverbraucher einen Feind, auf den er sauer sein kann. Inwiefern das Ganze berechtigt ist, das spielt keine Rolle. Man muss nur laut genug sein und tüchtig auf die (Werbe-)Trommel schlagen. Absolut wichtig ist es dabei, latente Ängste zu schüren und ans Licht zu holen. Sind keine vorhanden, dann muss man sie eben schaffen. Alldieweil ist es vollkommen unerheblich, ob man da aus einer Mücke einen Elefanten macht. Hauptsache das Feindbild stimmt.

So etwas schweißt ja zusammen und schafft Gemeinsamkeit (und natürlich auch Wählerstimmen). Der Mensch ist unglücklicherweise ein Herdentier. Also kann man ihm alles, was die Herde bedrohen könnte, auch als Gefahr verkaufen. Die AfD macht es geradezu beispielhaft vor. (Es ist übrigens nicht einmal einhundert Jahre her, da gab es noch Andere, welche nahezu perfekt darin waren Feindbilder in den Herzen der Menschen zu versenken.) Allerdings haben wir Deutschen keine Monopol auf Populismus. Wo immer man sich in der Welt umschaut, treibt er gerade die schönsten Blüten.

Und wenn es mal nicht die Andersdenkenden, die Andersgläubigen, die Andersfarbigen oder die-was-auch-immer-anders-ist-Leute sind, dann ist es eben halt mal der Wolf. Da geht doch was, denkt sich ein parteiloser Kandidat und erhofft sich durch dieses Thema Rückendeckung und Wahlerfolg.  Er ruft zur Podiumsdiskussion in die Waldschule auf. Bisher war ich immer der Meinung, dort sollte die Liebe zur Natur gelehrt werden. Aber schon allein die Aufmachung der Einladung lässt befürchten, dass die Natur (zu der der Wolf wohl unbestritten gehört) hier nicht so gut weg kommt. Ganz oben kann man in Leserichtung (das ist ein klassischer Griff in die Marketingkiste) zuerst einen zähnefletschenden Wolf (oh, wie schaut der doch grimmig drein!), dann ein gemeucheltes Schaf (das Blut ist gut erkennbar) und zum Schluss ein dickes Paragraphenzeichen erkennen. Die Botschaft ist eindeutig: Böser Wolf mordet unschuldiges Lämmchen - doch wir werden ihm mit Recht und Gesetz Einhalt bieten.



Die Liste der bei der Diskussion anwesenden Gäste spricht ebenfalls Bände. Da ist die Chefin vom Kreisbauernverband. (Deren Einstellung ich schon noch irgendwie nachvollziehen könnte, wenn ich guten Willens wäre). Ein Schäfermeister, der als Geschädigter bezeichnet wird. Gefolgt von einem Rechtsanwalt, der ehrenamtliches Mitglied im Jagdverband Brandenburg/Havel e.V. ist. Und natürlich noch der Kandidat, der uns vorm bösen Wolf beschützen will. Dem gegenüber stand ein einsamer Mensch der Arbeitsgruppe Artenschutz Thüringen e.V.. Ich hoffe, der Moderator hat es geschafft, dass dieser nicht fluchtartig den Saal verlassen musste. Ein derart offensichtliches Ungleichgewicht an Vertretern konträrer Meinungen lässt mich das Schlimmste befürchten.  (Dass ein Thüringer doch nicht für die Brandenburger sprechen könne, wird sicher das netteste Argument gewesen sein.)

Ich konnte leider an dem Schauspiel der Podiumsdiskussion nicht teilnehmen. (Oder vielleicht auch zum Glück für mein inneres Gleichgewicht.) Die Rückkehr aus dem Urlaub stimmt die Menschen im Allgemeinen etwas melancholisch. Ich bin da keine Ausnahme. Der Anblick, der vielen überfahrenen Tiere am Straßenrad, tat sein übriges dazu. Ich wurde nicht froher gestimmt, als ich feststellen musste, welches Ereignis ich da inzwischen verpasst hatte. Dass es möglicherweise doch besser für mein Seelenheil war, als gedacht, stellte ich beim Lesen der Lokalpresse fest. Da hatte man am Vortag der Podiumsdiskussion eine Wolfmahnwache organisiert. (Tolle Idee - vielleicht sollten wir das Mal für die vielen Hühner in den Mastanlagen machen. Sind die nicht auch irgendwie Opfer?)  Mit dabei war unter anderem auch der Vorsitzende des brandenburgischen Landesverbandes der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald. Beim Lesen schämte ich mich regelrecht fremd, weil ich da auch Mitglied bin. Es tröstet mich wirklich nur ein bisschen, das auf Internetseite der Schutzgemeinschaft deutscher Wald folgende Aussage zu finden ist:
Die Etablierung von Luchs, Wolf, Wildkatze und anderen heimischen Arten wird grundsätzlich begrüßt, da diese Arten zu einem naturnahen Wald-Ökosystem gehören und gegebenenfalls zu einer Entschärfung der Wildschadensproblematik führen können.
Irgendwie bin ich ganz froh, dass am Wochenende endlich Wahlen sind. Wer weiß, worauf die Populisten sonst noch kommen. Wenn ich an die Tierkadaver recht und links der Autobahn denke, mache ich mir glatt Sorgen, dass noch jemand die Autofahrer angreifen könnte. Obwohl - die haben ja eine Lobby (ganz oben).

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