29.2.16

Das Märchen vom Februar

Vor nicht allzu langer Zeit ging ich im Wald spazieren. Obwohl ich mich dort eigentlich wie in meiner Westentasche auskenne, wurde mir ganz komisch zu Mute. Alles sah so anders aus als sonst. Die Wege begannen sich zu verwirren, die Äste der Bäume verwoben sich in ineinander und das Licht, welches durch die Zweige fiel, hatte einen seltsamen Schimmer. Es dauerte eine ganze Weile, bis ich bemerkte, dass ich mich wohl in einem Traum befand.

Gerade als mir dieses klar wurde, da trugen mich meinen Füße auf eine Lichtung. Dort saßen 12 Männer um ein Feuer. Es waren alte Kerle, mit langen Bärten und seltsamen Kopfbedeckungen. Keiner glich im Aussehen dem Anderen und doch konnte man erkennen, dass es Brüder waren. Woran das lag, vermag ich nicht zu sagen, aber es war dem so. Nun habe ich in meinem Leben schon genug Märchen gelesen um zu erkennen, dass es sich bei den Gesellen wohl um die 12 Monate handeln durfte. Einer von ihnen saß auf einem etwas höheren Stuhl als die seine Gefährten. Er trug einen grauen Mantel, der mit dem Abbild kahler Äste bestickt war. Auf dem Kopf trug er eine Mütze aus Filz, die er sich tief in die Stirn gezogen hatte. Daran stecke ein einzelner Haselnusszweig, der mit seinen gelben Blütenwürstchen beständig winke, wenn der Alte seinen Kopf bewegte.

Genau jener Gevatter sah mir geradezu in die Augen, strich sich über den Bart und meinte zu mir:
„Komm näher mein Kind“.
Nun hat mich, die ich wahrlich nicht mehr jung bin, schon lange niemand mehr als mein Kind angesprochen. Selbst meine Mutter benutzt diese Anrede sehr selten. Weil aber die Zwölfe wohl schon sehr alt, also eigentlich uralt sein mussten, beschloss ich mich nicht über diese Begrüßung zu ärgern, sondern trat näher. Zugegeben, ich war etwas unsicher und überlegte schnell, welche Eigenschaften diesen Gesellen in meinen Märchenbüchern zugesprochen worden waren. An böse Geschichten, die sich im Zusammenhang mit ihnen erzählt wurden, konnte ich mich eigentlich nicht erinnern. So sollte diese Begegnung doch wohl eigentlich gut für mich ausgehen, lautete mein Fazit.

Ich tat also näher und vernahm zu meinem Erstaunen, dass die Alten der Meinung waren, ich sei gerade zur rechten Zeit gekommen. Auf meine erstaunte Frage, wofür es denn die rechte Zeit sein, bekam ich zur Antwort, dass genau heute der Februar das Zepter des Jahres an den März übergeben werde. Das sei immer ein Moment des Innehaltens und des Reflektierens.

Dann also beugte sich der Februar vor, sah mich streng an und fragte:
„Und was hältst du von meiner Arbeit?“

Oh weih, da saß ich nun arg in der Tinte. Obwohl der Februar der kürzeste aller Monate war, mochte ich ihn überhaupt nicht. Ich sehnte mich gerade in diesen Wochen so sehr nach dem Frühling, dass mir die Zeit nicht schnell genug voran ging und ich mich nach seinem Ende lechzte. Das aber konnte ich ihm unmöglich so sagen.

Während ich grübelte, wie ich mich am besten aus der Affäre ziehen könnte, bemerkte ich am Blick, des Alten, dass er langsam ungeduldig wurde. Also nahm ich all meinen Mut und meine Gedanken zusammen und begann vorsichtig:
„Der Februar hat bisweilen recht schöne Tage. Die bieten uns eine freundliche Aussicht auf den Frühling.“
Mein Gegenüber strich sich über den Bart und meinte listig: „und was ist mit den grauen und trüben Tagen?“

Was nun?- dachte ich voller Sorge und fuhr mit leichtem Bangen fort: „ In solchen Stunden bleibt uns Zeit, dass wir uns bei aller Hektik der Tage einmal zurücknehmen. Wir setzen und mit einer Tasse Tee und einem guten Buch in eine stille Ecke und erholen uns. Daher haben auch solche Tage ihre Berechtigung.“
Die Antwort schien ihm zu gefallen, aber er wollte sich noch immer nicht zufrieden geben: „Sonst noch etwas?“

So nahm ich denn all meine Fantasie zu Hilfe und philosophierte aus dem Stegreif vor mich hin: „Der Februar lehrt uns auch, unseren Verstand zu vertrauen und nicht jeder Illusion nachzulaufen?“

Erstaunt hoben alle Zwölf die Augenbrauen. Wäre ich nicht so bemüht gewesen, die richtigen Worte zu finden, dann hätte ich diesen Anblick gewiss als lustig empfunden.
„Man schaut aus dem Fenster seiner wohltemperierten Wohnung und entdeckt, dass da helle Sonnenstrahlen über den Hof wandern. So glaubt man, es wäre warm und vermeint, der Frühling wäre in diesem Jahr etwas früher eingetroffen. Läuft man alsdann vor die Haustür, ohne Schal und Mütze, so muss man seinen Trugschluss schnell erkennen. So zeigt uns der Februar, indem er uns mit freundlichen Tagen narrt, dass man der Schönheit des Eindruckes nicht allein nur vertrauen darf. Nur wenn Herz und Hirn sich einig sind, dann können wir die richtigen Entscheidungen treffen.“

Entsetzt schwieg ich. Was hatte ich da nur wieder vor mich hingeplappert?

Aber die Alten schienen mit meiner Rede zufrieden und nickten bestätigend. Der Februar winkte mich noch näher zu kommen und überreichte mir ein Kästchen als Geschenk.
Just in dem Moment, als ich es öffnen wollte, erwachte ich.

So ein Mist. Ich hätte zu gern gewusst, was in dem Kästchen gewesen war!



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